Steffen Neumann: Schön und hässlich
Ein Architektur-Wettbewerb soll zeigen, was 20 Jahre Bauen in Freiheit in Usti hervorgebracht hat.
Matej Paral sichtet die Einsendungen. Noch wenige Tage verbleiben, um das beste und auch das hässlichste Bauwerk in Usti nad Labem (Aussig) nach 1989 zu nominieren. Selbst Architekt, hat er den Architektur-Wettbewerb „Ú///A Prix 2010“ mit zwei Mitstreitern ins Leben gerufen. Die Auswahl soll eine Bilanz der ersten 20 Jahre Baugeschichte in Freiheit ziehen. „Es geht uns um Architektur, für die wir derzeitigen Einwohner von Usti im Rahmen der Demokratie Verantwortung tragen. Es handelt sich also in gewisser Weise um eine Form von Selbstreflexion“, begründet Paral den zeitlichen Rahmen.
Der Wettbewerb in der nordböhmischen Bezirksstadt ist durchaus reizvoll. Anders als die meisten tschechischen Städte wurden Teile ihres historischen Stadtzentrums Ende des Zweiten Weltkrieges von Fliegerbomben zerstört. Das war dann für die sozialistischen Stadtplaner ein willkommener Vorwand, auch noch den restlichen historischen Bestand wegzureißen und eine völlig neue Stadt zu planen. „Es ging dabei auch darum, die Erinnerung an das Vorkriegs-Usti auszulöschen, dessen Architektur in entscheidendem Maße durch deutsche Architekten geprägt wurde“, ergänzt Paral, der selbst aus Usti stammt. Es sollte keiner mehr merken, dass die Stadt einmal mehrheitlich von Deutschen besiedelt war.
Hamburger Hafenarchitektur
Dieses Gedächtnis wiederzubeleben und zugleich einen Stolz auf die eigene Architektur zu entwickeln, ist das Ziel von Matej Paral. Nicht zufällig taucht im Namen des Preises ein A auf, denn A steht für Aussig. Es ist von der Internetseite www.usti-aussig.net abgeleitet, auf der Paral seit zehn Jahren eine Datenbank für Architektur in Usti betreibt. "Als ich als Student mehr über die Gebäude erfahren wollte, gab es dazu keine Literatur. Usti galt als Stadt ohne Geschichte“, erinnert sich der 34-Jährige. Die Vorlesung eines Hamburger Architekten brachte ihn auf die Spur. Denn Usti wurde entscheidend vom deutschen Expressionismus beeinflusst.
Typisch sind Bauten mit weinrot-brauner Klinkerfassade und bei Eckgebäuden häufig mit einem Turm an der Eckfassade, wie sie auch in Hamburg zu finden sind. „Man könnte von Hafenarchitektur sprechen, die beide Städte verbindet“, sagt Paral.
Für ihn gibt es auch unter den Bauwerken der letzten 20 Jahre Beispiele, die an diese Tradition anknüpfen. So die Erweiterung des Bankhauses Komercni banka oder auch der Palast „Zdar“ auf dem Mirove namesti (Friedensplatz). Doch es gibt auch Bauwerke, die den Geist der Zwischenkriegszeit mit ihrer mutigen Architektur fortsetzen. Das bekannteste ist sicherlich die Marienbrücke mit ihrem kühn aufschwingenden Pfeiler. Doch auch unter Einfamilienhäusern gibt es beachtliche Architektur.
Bei den meisten Gebäuden sieht die Bilanz jedoch traurig aus. Als entscheidenden Grund nennt Paral das Fehlen von regulären Architekturwettbewerben. „Bei geplanten Neubauten wird der Auftrag in der Regel an befreundete Planungsbüros vergeben, die gelegentlich nicht einmal einen Architekten haben. Damit geben wir aber ein wichtiges Instrument aus der Hand, das wir mit der Freiheit vor 20 Jahren gewonnen haben“, kritisiert Paral. Solche Mahnungen bleiben bis jetzt ungehört. Die Stadtverwaltung zum Beispiel ignoriert das ambitionierte Projekt.
Abstimmung im Dezember
Von dem Wettbewerb „U///A Prix 2010“ erhofft sich Paral deshalb nicht nur einen größeren Bekanntheitsgrad, sondern auch stärkeres Gewicht. „Denn wir funktionieren quasi als Denkmalschutz von unten. Sobald es uns gelungen ist, einen Bau ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, sind die Chancen für seine Rettung viel höher. Das könnte auch bei Neubauten helfen“, bleibt Paral optimistisch. Im Dezember soll über die Nominierten abgestimmt werden. Die Gewinner werden voraussichtlich Ende Dezember prämiert.
Publiziert in: Sächsische Zeitung, 29. 11. 2010, Seite 14, Rubrik: Nachbarland - Blick nach Tschechien